as Zeitalter des “analogen” neigt sich seinem Ende zu, möge man meinen. Nein, ich meine damit nicht einmal nur die “analoge” Fotografie, sondern so ziemlich alles an analogen Medien, Techniken. Immer mehr wird bis zur Irrsinnigkeit abstrahiert, bis dass es in eine digitale Form passt. Digitalisierung 4.0 ist so eine Phrase, die für besonders viel Bullshit steht, wie auch “der digitale Patient”.
Es wird von der Digitalisierung des Verkehrs geschwärmt und von Algorithmen gesprochen, die mir den besten Job, das beste Fernsehprogramm und die beste Zeit für den Stuhlgang “nahe legen” (und bald vielleicht auch einmal diktieren werden). Keiner spricht mehr von Maulschlüsseln, Schmierfett, gedruckten Büchern. Wir schütteln unsere vermeintlichen Kinderschuhe ab, als Gesellschaft, die abgewetzt und dreckig sind – um in die geilen, sauberen und digitalen Sneaker zu treten. Alles was vorher war ist lästig, überflüssig, nervig geworden. Wer will schon dreckig werden, während er Geld verdient? Wer will schon Schornsteine in der Nähe seiner Loftwohnung, während der Tesla sorgenfreien Strom lädt.
Erfrischend alt
Da ich kein Freund dieser blinden Technologiehingabe bin, war es um so erfrischender für mich diesen Ort der industriellen, analogen Ruhe besuchen zu können – insgesamt 3 Mal sogar, wobei sich beim letzten Besuch eine starke Ernüchterung einstellte….
Geschichtlich betrachtet, stellt der industrielle Großraum Lüttich-Köln (mit allen Gemeinden die sich zwischen ihnen befinden) die Geburtsstätte der kontinentalen Eisenbahn dar, wozu auch die erste internationale Eisenbahnverbindung zwischen eben jenen Großstädten gehört, die in den 1840ern ihren Betrieb aufnahm. Grund hierfür waren nicht zuletzt die hohen Rheinzölle der Niederlande, wie auch die persönlichen Bestrebungen eines Herrn Cockerill, der sich für den frühzeitigen Ausbau der Bahnlinien einsetzte (und dem wir die reichhaltige, industrielle Hinterlassenschaft in diesem Großraum zu verdanken haben). Geradezu explosionsartig breitete sich ein Schienennetz über ganz Europa aus, was den Handel und Personenverkehr beflügelte.
Überall bildeten sich kleine Haltepunkte aus und verdichteten so das Netz, die Möglichkeiten zur Reise und die wirtschaftlichen Potenziale der so angeschlossenen Regionen. Leider führten auch militärische Gedankenspiele zum Ausbau des neuen Verkehrsnetzes.
Als am 04. August 1914 der vertragswidrige Überfall der kaiserlichen Armee auf das Königreich Belgien erfolgte, begann der erste, wahrhaftig moderne Krieg Europas (der Japanisch-Russische Krieg von 1904 könnte allgemein als erster, moderner Krieg bezeichnet werden). Die Bedeutung der Eisenbahn als logistische Lebensader der vorrückenden Front, war zu diesem Zeitpunkt bereits fest in den Köpfen der Militärs verankert; während die Vennbahn den Transport größerer Truppenteile während des Aufmarschs ermöglichte, zwang der spätere Stellungskrieg und die Neutralität der Niederlande die kaiserliche Generalität dazu, die bestehenden belgischen Schienennetze auszubauen, um die Westfront effektiver versorgen zu können.
Der Gedanke an die erhoffte Nachkriegsordnung, welche Belgien (je nachdem, wer die Kriegsziele formulierte und wie zäh der Krieg sich im Verlauf gestaltete) als eine zukünftige Provinz des Kaiserreiches sah – oder als einen verkrüppelten Rumpfstaat der sich an die Nordsee zwängen sollte -, motivierte zusätzlich zu langfristigen Planungen im Bezug auf den Ausbau der Infrastruktur.
So begann der Ausbau der belgischen Eisenbahnlinien im Jahr 1915 durch deutsche Firmen, wozu auch Kriegsgefangene, lokale Zivilisten und Deutsche (ob Strafgefangene, oder Strafdivisionen ist mir nicht bekannt) Zwangsverpflichtet wurden. Auf der Linie Montzen (Aachen West bis Tongeren) erfolgte die Eröffnung des 44 km ( ab Westportal Gemmenicher Tunnel) umfassenden Neubaus am 28. Februar 1917 eingleisig. Hierbei entstanden/erweiterten sich die Linie 38 und Linie 24 des belgischen Streckennetzes.
Zu diesem Zeitpunkt bestand der Bahnhof Hombourg bereits als kleinerer Landbahnhof, dessen hauptsächliche Aufgabe der Transport von landwirtschaftlichen Gütern und Pendlern darstellte. Als die Deutschen am 02. August der belgischen Regierung ihr Ultimatum überreichten, um im Sinne des Schliffen-Plans den Weg nach Frankreich zu ebnen und somit die vertraglich garantierte Unabhängigkeit und Neutralität Belgiens verletzten, sprengten Truppen der belgischen Armee in der Nacht vom 03. auf den 04. August den nahen Lascheter Tunnel, der eine Länge von 140m besaß. Dies sollte die Nutzbarmachung der Teilstrecke erschweren und somit den Vormarsch der Deutschen auf Lüttich verlangsamen. Eine vollständige Sprengung fand wohl nicht statt, so dass die Besatzer den Tunnel innerhalb kürzester Zeit wieder herrichten konnten (bereits am 18. August 1914 war der Tunnel wieder befahrbar).
Im Verlauf des Krieges, fand der kleine Bahnhof Hombourg somit seine Anbindung an den einst gigantischen Umschlagplatz Montzen, welcher wiederum dem einstigen Knotenpunkt Plombières (Bleyberg) bei weitem den Rang ablief (obwohl im Raum Bleyberg die Förderung von Blei, Zink, Pyrit und Eisen stattfand).
Zurück ins Jahr 2020, sind die Kriegstage zwar nicht vergessen, erst recht nicht jene des zweiten Weltkrieges, doch haben sie auf die Verständigung der Nachbarn keinen direkten Einfluss mehr; die Euregio lebt von den freien Grenzen und zeichnet sich durch reges Treiben über jene hinweg aus. Wer Sonntags in Aachen noch etwas für den Kuchen braucht, der muss sich keine Gedanken über die Besorgung machen: Ein kleiner Hüpfer rüber nach Vaals und gut ist. Auch lockt an Wochenende die bewundernswerte Natur der belgischen Ardennen, oder des hohen Venns. Umgekehrt muss man sich in Aachen nicht wundern, wenn in den Einkaufstempeln auch Schilder auf Französisch oder Niederländisch zu erspähen sind: Dies wird zum Glück immer mehr zur Regel, als denn zur Ausnahme.
Dass der Verein, welcher sich heute um den Erhalt der Reste dieser Schienen und der dazugehörigen Fahrzeuge kümmert, “Le chemin de fer des trois frontières” (“Drei Grenzen Eisenbahn”) heißt, mag da zwar rein pragmatisch durch die Lage bedingt sein, bezeugt aber auch mit seiner Tätigkeit die historische Gewichtung dieser Region. Wie erwähnt, war ich insgesamt 3 Mal vor Ort und konnte auf dem gesamten Teilstück, bis knapp vor der Anschlussstelle Montzen, die wunderbaren, jedoch teils arg verfallenen Wagen festhalten, die, so schien es zumindest, sich selbst überlassen auf den Schienen überdauerten. In der direkten Nähe zum Restaurant (La Gare Hombourg), befanden sich einige besser erhaltene Wagen und auch eine kleine Rheinbraunlokomotive. Hier sah ich auch die ersten Hinweisschilder, die auf den Verein verwiesen und die, im ersten Augenblick so wirkende, wahllose Sammlung nicht mehr ganz so herrenlos für mich machten.
Bei meinem dritten Besuch, traf ich dann tatsächlich auf Mitglieder des Vereins, die sich gerade Restaurationstätigkeiten widmeten und kam ins Gespräch; ein Mann, nur wenig älter ich, der als Industriemechaniker bei der belgischen Eisenbahn tätig war, erzählte mir von den Problemen des Vereins mit eben jener, wenn es um die Erhaltung der geschichtsträchtigen Waggons ging. So hatte die wallonische Regierung bereits kräftig zugeschlagen, um ihr Projekt RAVeL (kleine Randnotiz: Obwohl Deutsch eine offizielle Amtssprache Belgiens ist, wird die Seite nur auf Niederländisch, Französisch und Englisch angeboten) durchboxen zu können, was Hand in Hand mit Rechtsstreitigkeiten mit der SNCB ging. Diese vertrat die Ansicht, dass alle Waggons, welche sich auf ihren Gleisen befanden, automatisch auch in ihren Besitz übergingen – eine Ansicht, welche erstaunlicherweise von den Gerichten bestätigt wurden. So musste der Verein in kürzester Zeit agieren und retten, was noch zu retten war:
Man tauschte, transportierte und rettete Waggons wo es nur ging – priorisiert nach Zustand und Seltenheit, wurden Waggons zum Depot nach Raeren vebracht, oder auf die, im Besitz des Vereins befindlichen, Gleisteilen am Restaurant geschoben. Wenn die Zeit zu knapp wurde, hat man die Waggons einfach von den Gleisen heben müssen, um sie dem Zugriff der SNCB entziehen zu können.
Doch konnte man nicht alles retten, was Historie hatte: Einige Waggons, die zur Zeit des zweiten Weltkriegs von den Deutschen requiriert und zum Transport von jüdischen Bürger missbraucht wurden, fielen der blinden Zerstörung zum Opfer; Während nun also für das Projekt RAVeL die Schienen aus dem nicht privaten Bereich der ehemaligen Strecke gerissen wurden, rückte die SNCB zur Verschrottung aller Waggons an, welche die Arbeiten am RAVeL noch behinderten. Erwähnen sollte man hierzu, dass es bereits neben den Gleisen eine Radstrecke gab, die in ihrer Breite aber anscheinend nicht ausreichen sollte. Vielleicht war es der wallonischen Regierung auch einfach zu lästig, hier einen kleinen Verein einfach nur einmal machen zu lassen, um ein Kulturgut zu erhalten.
Durchaus könnte man also sagen, dass hier bewusst Kultur und Geschichte vernichtet wurde. Bereits dem Vorgänger des Vereins, der mit seinem Privatvermögen diese Sammlung erst erschaffen hat, schmiss man von Lokalpolitik und SNCB her immer Steine in den Weg, um möglichst die Gründung eines Museums, oder gar einer Museumsbahn, verhindern zu können.
Ein Trauerspiel, welches in dieser Form überall zu finden ist – auch im heimischen Aachen vernichtet man Gebäude, die unbequem und von zu viel Geschichte zeugen (Bunker auf der Rütscher Straße, nur als Beispiel). Alles was alt, analog und unbequem ist soll verschwinden und deswegen ist es um so wichtiger diese Objekte zu fotografieren und somit zu erhalten.
So konnte ich noch einen gewissen Teil der Waggons, für mich selbst, durch Fotos retten. Fotos, die mit einer Rolleiflex T und dem Kodakt Ektar 100 gemacht wurden. Analog. Überholt. Wie ich.
Mit Dank an MeinFilmLab für die Unterstützung und gute Zusammenarbeit!