ir platzt der Kopf. Nein, keine Sorge – weder C4, noch ein Apoplex, sorgen für eine cineastische Umsetzung dieser Aussage. Es ist der Stress. Stress, weil ich neben Schichten, Personalrat und anstrengenden Menschen tatsächlich noch eine Beziehung habe und mich um meine Partnerin kümmern möchte, Zeit mit ihr verbringen will, während woanders noch zwei Pflegebedürftige Menschen Hilfe brauchen – auch wenn dort den Großteil meine Mutter übernimmt. Mein Badezimmer liegt in Renovierungstrümmern, seit Wochen, Monaten, weil ich nicht dazu komme anzupacken, oder einfach auch mal keine Lust habe.
Die wenigen Phasen der Erholung sind dann gekennzeichnet von Unruhe und der Angst etwas zu verpassen. Wenn der Motor 6 Tage lang auf 120% Prozent läuft, dann kann er am siebten Tag nicht einfach auf 40% gedrosselt werden. Langeweile tritt auf, brennende Langeweile die mich verzehrt. Ich will dann etwas erleben, sehen, machen, tun – und am Ende sitze ich daheim, alleine, schreibe Texte, vergeude meine Zeit mit Spielen und warte darauf, dass meine Frau von der Arbeit kommt. Aachen habe ich durch, fotografisch und dank der Schichtarbeit haben meine Frau und ich wenig freie, gemeinsame Tage. Meistens haben wir versetzt frei, dann sieht man sich für 1-4 Stunden. Zuletzt für 30 Minuten am Tag. Beziehung portioniert.
Ein gesunder Mensch hätte seinen Zeitvertreib, würde rausgehen und “irgendetwas” machen. Ich habe den brennenden Willen dazu, aber die belastende Erschöpfung in den Knochen die mich hindert. Ich will jagen, aber auch dazu getragen werden. Ich bin einfach “drüber” und habe es auch zum Teil satt, mich auf der Arbeit mit manchen Menschen herumzuschlagen und sie erdulden zu müssen. Menschen, die ich sonst nicht beachten würde, weil sie sich so gnadenlos daneben benehmen. Personen, die andere so rücksichtslos mit ihrem Wahnsinn belasten. “Ich habe Fieber und bin platt” – “Aber ich hab noch mehr Fieber und bin noch platter, außerdem hab ich noch einen Bandwurm!” – solche Menschen. So kam es auch, dass ich den Ausflug zu diesem Friedhof mit Jörg Bergs, einem sehr guten Freund, mehr als nur genoss; Ruhe, keine Menschen, keine aufdringlichen Egos. Nur die Stille eines friedlichen Ortes.
Batterien aufladen auf dem Friedhof
Vergessen und verwildert, so fanden wir den kleinen Friedhof in Limbourg (Belgien) vor. Man könnte den Friedhof auch ganz gut übersehen, liegt er doch eingewaldet am Rand des Dorfes, mitten im Hang und noch vor den Mauern dieses Reliktes von Ortschaft. Direkt am Fuße der Kirche St. Georges, verharren die ehemaligen Bürger des Ortes in ihrem ewigen Schlaf. Moos bedeckt die meisten Gräber und grober Schotter liegt zwischen ihnen verteilt, wird an Ecken von einzelnen Pflanzen durchbrochen. Efeu überall auf den ausgewaschenen, ausgebleichten Grabsteinen, das Fiepen von Mäusen, die in den Spalten der Felswände ihr Heim gefunden haben und über die Toten wachen. Wie ein unbekümmerter Geist, so sitzt ein Maler mit Staffelei zwischen den Gräbern auf seinem kleinen Hocker und verewigt, was ewiglich ist. Er bemerkt uns nicht einmal, kümmert sich nicht um uns – wenn er uns denn überhaupt realisiert hat. Vertief in den Ort, folgt aus seiner Hand ein Pinselstrich dem anderen. Ein magischer Ort, fernab von Stress, Druck und Moderne. Keine Termine, keine nervende Technologie, die um Aufmerksamkeit ringend die Nerven des Bedieners reizt mit allerlei Gepiepse und Gefiepe.
Störend kommt es mir dann schon vor, als ich die Kamera aus meiner Tasche hole. Nicht störend für den Maler, nein – er ist ganz woanders, so meditativ wie er sich seiner Arbeit widmet. Für mich. Ich verharre noch einen Moment, lege meine Hand auf das brünierte, nicht mehr ganz so vertrauenerweckende Geländer, welches mich von einigen Metern vertikaler Beschleunigung trennt, und blicke durch die Gräberreihen. “Wäre es nicht schön, wenn wir es uns im Leben so ruhig, so friedlich einrichten könnten?” Schießt es mir durch den Kopf.
Nach einigen Momenten für mich, beschließe ich doch noch zu fotografieren. Ich will mir einige Momente des Ortes mitnehmen, sie einlagern als Reserve. Für die stressigsten Tage, an denen mir so vieles über den Kopf steigt. An denen Menschen meinen, meine Empathie ausnutzen zu können.